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Musik ist Diskurs - Terre Thaemlitz
Elektronische Musik, Identität und Geschlecht
 
- Matthias Osterwold


In Positionen, No. 43, Mai 2000.

 
"Once again music has rediscovered a new Vanguard - the conflation of melody with incidental noise, metric patterns with random systems, heavy symbolism with mindless chatter. The audio revolution has been rekindled by our resignation to the fact that there is no originality in feigning originality. We smile at Sardonian Nothingness. We engage in identity politics and anti-essentialism. We sleep each night nuzzled in this Post-modern polemic."
1. Terre Thaemlitz, Headline auf www.comatonse.com/thaemlitz

"Musik ist Diskurs". Zwar ist Terre Thaemlitz, der seit 1997 in Oakland an der San Francisco Bay lebende Komponist und Realzeit-Interpret digital-elektronischer Musik, der Audio-Experimentalist, Label-Chef und vormals gesuchte DJ in Underground-Clubs kein Musik-Theoretiker, sehr wohl aber ein Theorie-Musiker. Er gehört zu den konsequentesten und exponiertesten Vertretern einer kritisch-dekonstruktivistischen Richtung innerhalb der Szene der New Electronica Musik. Beharrend auf einem Begriff von künstlerischer Praxis als kritischer Intervention ist er unter den wenigen, die weiterhin den Zusammenhang von Kunst, Politik und Theorie untersuchen. 2. Auch z.B. Oval alias Markus Popp begleitet seine Audio-Produktion mit theoretischen Texten. Thaemlitz nutzt seine persönliche musikalische Produktion und das von ihm gegründete und selbst betriebene Label Comatonse Recordings als Plattform und Vehikel der Auseinandersetzung mit kulturtheoretischen, ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen, insbesondere der Geschlechtsrollenidentität, des Transsexualismus und des Transvestismus, des "Transgenderism" und des "Cross-Dressings".

Nicht immer, aber doch oft erscheint er bei seinen Auftritten in Frauenkleidern und mit weiblichem Make-Up, manchmal in einem Mix aus weiblichen und männlichen Accessoires. Niemals jedoch präsentiert er sich als glamourös offensive, schrille Drag Queen, viel eher verkörpert er das Paradox einer intorvertierten Drag-Queen, die jeden Ausdruck eines typischen "verkehrten" Geschlechtsrollenbildes und eines rotzigen "Hoppla, hier bin ich!" meidet.

Stationen
Terre Thaemlitz wächst in einer kleinen Stadt im US-Bundesstaat Missouri auf. Pop-Idol seiner Teenagerzeit ist Gary Numan, dessen raffinierten und mehrdeutigen Texte er auf der Rückseite der Poster-Beilage zu seiner CD Replicas Rubato als Anspielungen auf homoerotische und andere Formen abweichenden Sexualverhaltens dechiffriert. Er analysiert ausführlichst die Erzählbilder in Numans Songtexten als Ausdruck einer vagierenden sexuellen Identität, einer quasi pansexuellen Tendenz. Replicas Rubato, erschienen 1999, enthält als Hommage an Gary Numan Cover-Versionen verschiedener Numan-Titel, die auf einem stark verhallten, pedalisierten elektronischen Klavier, d.h. auf einem Synthesizer mit Piano-Samples, einerseits insistierend kitschig, anderseits mit emotional desengagiertem Repetitionsdrang gespielt werden; ihre imitatorischen Passagen, kaum wahrnehmbar für den Hörer, sind das Ergebnis automatisierter Sequenzierungen. Replicas Rubato schliesst in Stil und Sound an die CD von 1997 Die Roboter Rubato an, auch Hommage an ein weiteres Jugendideal, die Cyborg-Musik von Kraftwerk, die hier ebenfalls auf verhalltem Digital-Sample-Piano im Rubato, d.h mit agogischer und metrischer Freiheit paraphrasiert wird - ein extremer Kontrast zur roboterhaften Präzision des Originals. Gegenüber der als bedrohlich und einseitig empfunden Macho-attitüde des Mainstream-Rock identifizier sich Thaemlitz mit der kühlen, futuristischen Ästhetik des Elektropop in ihrer grösseren Offenheit und Uneindeutigkeit hindsichtlich erotischer Codierungen. Er traut elektronischer Musik ein höheres Potential zu, sich der maskulinen und patriarchalen Prägung dominanter Pop-Kultur zu entziehen.

1986 geht Thaemlitz nach New York, um an der Cooper Union Kunst zu studieren. Er konzentriert sich auf politisch engagierte Konzeptkunst (Hans Haacke war einer seiner Lehrer), "Cultural" und "Gender Studies". In den späten 80er und frühen 90er Jahren hält sich Thaemlitz zusehends von autonomer Kunstproduktion fern und beteiligt sich an Aktionen der Schwulen- und AIDS-Bewegung. Sein anhaltendes Interesse an elektronischer Musik lässt ihn rasch zu einem gefragten DJ in Transvestiten- und Transsexuellen-Clubs auf der 42ten Strasse werden. Als DJ Sprinkles wird er 1991 als bester Underground-DJ preisgekrönt. Ab 1992 beginnt Thaemlitz, ausgehend von seinen DJ-Erfahrungen, eigene Stücke zu produzieren. Seine ersten Solo-CDs Tranquilizer und Soil erscheinen 1994 resp. 1995; sie stellen eine kritische Auseinandersetzung mit eskapistischen und exotistischen Konventionen üblicher Ambient Music dar.

Haltungen
Wenn mit einigem Grund immer wieder von der "Erklärungsbedürftigkeit" neuer Musik die Rede ist, um damit zu kennzeichnen, dass viele Werke zu ihrem Verständnis eine zusätzliche schriftliche Kommentierung geradezu voraussetzen, so liegt bei Thaemlitz der umgekehrte Fall eines expliziten "Erklärungsbedürfnisses" vor, dessen die Musik im Hörvollzug selbst nicht unbedingt bedarf. Spätestens seit den experimentellen CDs Couture Cosmetique (1997) und Means From An End (1998) fügt Thaemlitz umfangreiche Erläuterungen aus dem Umfeld poststrukturalistischer Theoriebildung bei, die den Versuch unternehmen, seine Musik mit theoretischen Statements zu verknüpfen. Die Textproduktion wird konzeptioneller Bestandteil der anspruchsvollen und anspielungsreichen graphischen Gestaltung der CDs. Oft in minimaler Schriftgrösse gesetzt, breiten sich schwer lesbare dichte Textfelder auf bis zu sechzehn Booklet-Seiten aus. Thaemlitz ordnet die meisten seiner Statements direkt einzelnen Tracks als ausführliche Anmerkungen zu. Diese Anmerkungen kreisen um die Verknüpfung von ästhetischer Theorie und Kritik, von politisch-ökonomischer Analyse mit identitätspolitischen Diskursen. Kernstück der Theoriebildung ist der "Anti-Essentialismus" als ideologiekritische Position gegen die Fixierung normativer Konzepte und fester Leitbilder im gesellschaftlich-politischen wie im künstlerischen Raum. An der Ambient-Bewegung, der er sich selbst zurechnet, kritisiert er, dass "jeder besessen zu sein scheint von essentialistischen Abstraktionen wie Universalismus, Transzendenz, soziale Gemeinschaft, 'geistige Aufgeklärtheit' und andere Vagheiten, die dazu dienen, die sozialen Kontexte der Produzenten und Hörer zu verleugnen, um die Musik auf das masturbatorische Level subjektiver Introspektion zu reduzieren". 3. Zitiert nach www.comatonse.com/thaemlitz/annotations.html; April 2000. In der Identitäts- und Minderheitenpolitik tritt er gegen festgelegte und daher einschränkende Rollenbilder für Minoritäten an, seien es Schwule, Lesben oder andere sexuelle, ethnische, nationale oder religiöse Minoritäten; er argumentiert gegen dichotomische Grenzziehungen wie Schwul versus Nicht-Schwul, Gesellschaft versus Natur, Mann versus Frau. Thaemlitz möchte "soziale Prozesse komplizieren" durch das Offenlegen der sozialen und politischen Kräfte, die hinter der Konstruktion von Identität, Geschlechtsrolle und Sexualität stehen, die aber auch auf die Haltungen von Produzenten und Hörern von Musik einwirken. "Transgender" und "Cross-Dressing" steht für die Instabilität und Ambivalenz der Identitätsbildung und macht die Bedeutung der sozialen Konditionierung gegenüber biologischer Prägung deutlich, indem sie die Mechanismen der "Zuschreibbarkeit" von Körpern und Persönlichkeiten zu repräsentativen Symbolen herrschender Kultur thematisiert. In der Vermischung von kulturellen Zeichen können diese Signifikanten dekontextualisiert und denaturalisiert werden. Übertragen auf elektronische Musik besteht die Möglichkeit, musikalische und akustische Fragmente und Samples aus ihrem Kontext zu lösen, einer technischen Transformation zu unterziehen und verändert zusammenzusetzen, ohne eine neue Ordnung zu kreieren, sondern den Status einer instabilen, ambivalenten und offen gehaltenen Identität des Musikalischen zu erreichen, also eine Analogie zwischen musikalischen Strukturen und sozialen Verwerfungen herzustellen, oder, wie Churner herausgearbeitet hat, zwischen diesen Ebenen "allegorische" Beziehungen zu stiften. 4. Vgl. Rachel Churner, Sonic Montage - The Allegorical Compositions of Terre Thaemlitz, Vortrag am 10.6.1988 an der Stanford University, abrufbar unter www.comatonse.com/writings/churner1.html 1998; Diedrich Diedrichsen, Elektroakustische Gesellschaftskritik, in: Spex 06/1999, 29-32; Rob Young, TVpersonality - Terre Thaemlitz Rewiring the Man-Machine, in: The Wire 180, Februar 1999.

Diese Instabilität findet sich innerhalb einzelner Stücke, aber auch in der Konzeption ganzer Alben: auf der CD G.R.R.L. von 1997 versammelt Thaemlitz alle möglichen Genres gängiger Dancefloor-Musik, um mit der (Wieder-)Aneignung kultureller Identitäten zu spielen und den Trendfallen zu entschlüpfen. Seinem Track auf dem Mille Plateaux-Sampler Modulation & Transformation 4 gibt Thaemlitz bezeichnender Weise den drastischen Titel Genrecide. "Ich stehe wirklich zu der Idee, mich zwischen Genres und Persönlichkeiten zu bewegen, ohne im selben Moment einen Schritt nach vorne machen zu müssen - indem ich eben das Alte nicht zurücklasse. Mit Personae wie mit den Stücken eines Puzzles spielen, alle auf einmal. Für mich reflektiert das den gegenwärtigen Stand der Identitätspolitik.". 5. Zit. nach Young, a.a.O. (Übersetzung M. Osterwold). Vor diesem Hintergrund ist klar, dass es Thaemlitz nicht um Fragen persönlicher Autorschaft, um Authentizität und das überkommene Performer-Publikum-Paradigma zu tun ist. Auf der CD Die Roboter Rubato von 1997 hatte er über sich gesagt, er sei "ein kommunistisch rosa angehauchter Schwuler: ein Transi und eine Femme- (nicht Mensch-)Maschine, die alles, was sie verleugnet, in sich selbst kritisch verkörpert". 6. A Commie pinko faggot: a Trans Am (transgendered American) and a Femme (not Mensch) Machine that critically embodies all that it disavows, zit. nach Young, a.a.O. ( Übers. M.O.) Anti-Essentialismus ist für Thaemlitz das konstitutive Festhalten an der Aussenseiterrolle, die inhärent immer von Auszehrung durch generalisierende und kanonisierende Festschreibung bedroht ist. Er findet seine Entsprechung im Fluss von Klängen, die ihre Präsenz artikulieren, aber sich gleichzeitig selbst ausweiden und konterkarieren, bevor der Hörer sich in ihnen einrichtet.

Audio pur
Wäre da nicht seine Musik, [diesen Anschluss finde ich nicht gut, weil ja schon vorher von seiner Musik die Rede ist] die den Hörer für sich genommen in einen starken, wenngleich zweifelhaften Bann schlägt, man könnte versucht sein anzunehmen, das die akustische Produktion des Terre Thaemlitz vorwiegend als Vorwand herhalten müsse für die fast obsessiv zu nennende Theorie- und Textproduktion, die unweigerlich mit ihr einhergeht. Seine Musik aber legt Köder aus, ihr auf mäandierenden Bahnen in entlegene, maschinen-exotische Regionen digitalisierter Klanglichkeit zu folgen; sie verführt durch ein stechendes Parfüm eingestreuter süsser Sample-DJ-Vus, sie inszeniert die Einführung von melodischem Material in kalter Berechnung als grosse, sehnlich erwartete Überraschung, aber dann, in Akten brüsker Gewalttätigkeit springt sie um zu harschen, bohrenden technischen Störgeräuschen, als sei die Tonanlage dabei auseinanderzufliegen. Sie verweigert jede gefällige Verschmelzung eingeführten Materials, sie betont die Unversöhnlichkeit ihrer Elemente und verabreicht das Wohlbekannte in emotionsloser, Distanz gebietender Verfremdung.

Mit auschliesslich digitaler Technologie zerlegt, bearbeitet und rekonfiguriert Thaemlitz sein akustisches Material, meist Ready-Mades - Samples gefundener Klänge und enteigneter Musiken. Aus der Montage disparater, hart gegeneinander geschnittener Schichten entsteht eine Art "schizophrener" Musik: melodische Floskeln stehen neben beiläufigen Geräuschen, metrische Muster neben Zufallsprozessen, dokumentarische Sprachfragmente neben Testtönen, bedeutungsschwerer Symbolismus neben eleganter Nichtigkeit, Humor neben Botschaft. Wie schon beschrieben, liebt es Thaemlitz, Vorgänger und Vorbilder wie den Elektropop von Kraftwerk oder die Songs von Gary Numan zu rekomponieren und in gänzlich verwandelten Kontext zu stellen: paradoxes Oszillieren zwischen digitaler Maschinenmusik und Stilparaphrase, zwischen Datenrauschen im Hintergrund und - vice versa - Geschichte im Vordergrund.

Wie ein Musterbeispiel der von Gilles Deleuze und Felix Guattari in ihrem Text Mille Plateaux vertretenen Thesen besteht die paradoxe Konsistenz dieser Musik aus der Disparatheit der eingesetzten Elemente, die als Einzelbestandteile erkennbar und unterscheidbar bleiben. Die Synthese des Disparaten erzeugt Mehrdeutigkeit. Die Tracks beruhen auf einer gewissen Einfachheit in der Anordnung des nicht-uniformen Materials und zielen so auf ein Maximum kalkulierter Nüchternheit in Bezug auf die Disparatheit der Elemente. Es ist die Nüchternheit dieser Montagen, die den Reichtum der maschinisierten Effekte ausmacht.7. Vgl. Gille Deleuze/Felix Guattari, Mille Plateaux, englisch zitiert im Booklet der CD Modulation & Transformation 4, 1999.

Diese Musik kann kaum goutiert werden; ihr zuzuhören, ist buchstäblich ungemütlich. Sie versetzt ihre Hörer trotz oder sogar wegen ihrer relativen Ereignislosigkeit, die jederzeit kippen kann, in eine Art sensorischen und kognitiven Alarmzustand. An dessen unbelegten Synapsen wollen die theoretischen Statements von Thaemlitz andocken und eine Verknüpfung der "nicht-bedeutenden" musikalisch-akustischen Zeichen mit der Semantik der Schrift-Texte herstellen. Man mag diese Form der Zuordnung von Bedeutungen zu weitgehend abstrakter Musik für forciert und überdeterminiert halten, aber auch Terre Thaemlitz geht es nicht primär um direkte Botschaften, Ideologien und Aufforderungen zu sozialem Handeln, um Parodie oder Ironie, sondern um das paradigmatische Offenhalten diskursiver Ebenen. Diese Musik bleibt Musik pur, aber sie fordert in ihrer Beschaffenheit dazu heraus, ihre Einbettung wie die ihrer Produzenten und Hörer zwischen den sozialisierenden Kräften dominanter Kultur&Politik einerseits und individueller Entäusserung andererseits offen zu reflektieren.

Miss Take's Dragifesto
I found all I need to battle Dominant Culture at the Mall!

One Mess Begets Another
When fighting culture with culture you realize there's a thin line between the elegance of poignant regurgitation and vomit. But fear brings on wrinkles, and you're not just another mess in a dress or tomboy with no toy. You are an amazon warrior who wears the foundation of the future on your face. Realness or not, your outfit can never betray you - every flawless touch or telltale sign is a shattering blow against preconceptions of gender. With a beauty pageant wave I'm calling you to join me at the front lines of the revolution. Else with every motion of my razor sharp press-on nails I vow to strike terror on those who continue suckling at the dry male teats of dominant culture.
Love, Miss Take
8. www.comatonse.com/thaemlitz/misstake.html April 2000.

Thaemlitz Discography